Thomas Bosch Interview

Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Bosch
"Mein Alltag ist Nachdenken, Schreiben und Reden!"
 Interview: Myria Schröder 
Zur Person
Prof. Bosch besuchte ein Internat in Augsburg, wo er in seiner Freizeit Meerschweinchen, Bienen und Rosen züchtete. Er studierte Biologie an der Universität München und an dem Swansea University College in England. Nachdem er 1986 seinen Doktortitel von der Universität München verliehen bekommen hatte, verbrachte er seine Postdoc-Zeit an der Universität von Kalifornien, Irvine, in den USA. Im Anschluss wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität München und erhielt 1997 einen Ruf auf eine Professur in Jena. 2000 wurde er zum Professor für Allgemeine Zoologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel berufen. Weiterhin war er 2010 für drei Jahre Vizepräsident an der CAU. Prof. Thomas Bosch ist leitender Redakteur der Fachzeitschrift „Zoology“ und Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Universitäts-, Akademie- und Fachkommissionen. 2016/2017 war er Präsident der Deutschen Gemeinschaft für Entwicklungsbiologie (GfE ) und er leitet aktuell den Sonderfoschungsbereich „Origin and Function of Metaorganisms“ an der CAU. Prof. Thomas Bosch ist aktuell Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin.
Wir befinden uns hier im Wissenschaftskolleg zu Berlin. Ein Jahr lang leben und arbeiten Sie gemeinsam mit Wissenschaftlern der verschiedensten Disziplinen unter einem Dach. Ist das ein wissenschaftlicher Idealzustand für einen Forscher?
Im gewissen Sinne ja. Wir hier im Wissenschaftskolleg haben als Fellows die Gelegenheit zu vollkommen freiem Arbeiten, Nachdenken und Schaffen ohne den Druck zu haben etwas produzieren zu müssen. Wir sind eine Gruppe von 20 jüngeren und 20 älteren Wissenschaftlern aus völlig unterschiedlichen Disziplinen. Ich habe beispielsweise mit einer Philosophin Mittag gegessen und ein Seminar mit einer Novellistin besucht, die gerade an ihrem neuen Buch schreibt. Die Menschen hier interessieren sich füreinander, sind offen füreinander. Das ist für mich persönlich unglaublich inspirierend. Ich denke, dass unsere Forschung indessen an einer Grenze ist und eine Komplexität sieht, die wir alleine weder begreifen noch angehen können. Dazu brauchen wir Hilfe aus anderen Disziplinen und das darf ich hier erfahren.

Von welcher anderen Fachrichtung profitieren Sie am meisten?
Ich profitiere zur Zeit persönlich am allermeisten von Philosophen und Anthropologen. Wir lernen, dass das Zusammenleben mit Abertausenden von Mikroben möglicherweise einen Einfluss auf unser persönliches Verhalten hat und das es bei einer Störung dieser mikrobiellen Gemeinschaft zu komplexen chronischen Erkrankungen kommen kann. All das kann der Biologe nicht mehr wirklich umfassend verstehen, wenn er nicht das Gespräch mit Kollegen aus anderen Disziplinen sucht. 
Wir bewegen uns also in einem hochspannenden interdisziplinären Gesprächsraum an Grenzen der Biologie, die zeigen, dass grundlegende fundamentale Lebensprozesse deutlich komplexer sind, als wir das zum Beispiel vor 20 Jahren geglaubt haben. 

Wie sind Sie eigentlich Fellow am Wissenschaftskolleg geworden? 
Fellow kann man nicht einfach werden. Zum Fellow muss man gemacht werden. Irgendwann erreichte mich auf einer Auslandsreise ein Anruf des Sekretärs dieses Kollegs, ob ich Lust hätte, hier für zehn Monate sozusagen ein ausgedehntes Sabbatical zu verbringen und dann habe ich zugesagt. 

Sie beschäftigen sich mit den symbiotischen Interaktionen in Metaorganismen mithilfe eines einfachen Modellorganismus – dem als unsterblich geltenden Nesseltier Hydra. Wie genau sieht Ihr Forschungsprojekt aus? 
Ich studiere schon mein ganzes Leben lang diesen Organismus. Ich habe ihn zufällig über meinen späteren Doktorvater kennengelernt. Wir fanden dieses Tier faszinierend, weil es höchst einfach ist und einen uralten Tierstamm repräsentiert: Die Nesseltiere, die etwa 600 Millionen Jahre alt sind. Das Funktionieren dieses Tieres beruht auf einem mittlerweile wohlbekannten Miteinander von drei Stammzelllinien, die wir im Detail studiert haben. Das Tier hat eine ausgedehnte Regenerationsfähigkeit aufgrund der Anwesenheit seiner Stammzellen. Aus diesem Grunde existiert das Tier seit über dreihundert Jahren. 
Die Hydra ist ein beliebtes Modell der Entwicklungsbiologie, weil es auch noch als erwachsenes Tier ständig in der Lage ist neue Strukturen zu regenerieren. Damit setzen Prozesse ein, die bei normalen Organismen nur während der frühen Embryonalentwicklung ablaufen und damit experimentell sehr schwer zugänglich sind. Die fundamentalen Fragen, die hinter meiner Forschung stehen sind: Wie funktionieren fundamentale Lebensprozesse? / Wie kommunizieren Zellen miteinander? / Wie bilden die Zellen einen Organismus? / Wie ist das evolutionär entstanden? 
Neue revolutionäre Methoden haben gezeigt, dass Gewebe nicht nur Erbsubstanz des sogenannten Wirtsorganismus beinhaltet, sondern auch bisher unsichtbare Organismen. Zu den sogenannten Mikroben zählen wir Bakterien, Viren, Archäen, welche ganz offensichtlich mit diesen Geweben stabil assoziiert sind. Wir haben sie zu Beginn dieser Revolution als Kontamination abgetan. Wir sequenzierten Gewebe und bekamen immer wieder Sequenzen, die zu Bakterien passten, aber nicht zur Hydra. Das Gewebe kann man nicht trennen von der Anwesenheit von Mikroben. Dieser technische Durchbruch hat uns gezeigt, dass es eine unsichtbare Welt in und auf unserem Körper gibt. Wenn wir keimfreie oder bakterienfreie Tiere und Pflanzen herstellen, dann merken wir, dass diese Tiere nicht normal sind. Ihre fundamentalen Lebensprozesse laufen nicht so ab, wie normal und wir haben gemerkt, dass offensichtlich vielzellige Organismen wie Tier, Mensch oder Pflanze Assoziationen sind von vielen tausenden verschiedener Organismen, wobei wir die allermeisten nicht sehen. Wir nennen aus diesem Grunde seit ein paar Jahren diese Organismen Metaorganismen. 
Ich leite dazu in Kiel einen Sonderforschungsbereich mit 20 Kollegen, bei dem wir uns von der Pflanze bis zum Menschen Interaktionen zwischen Bakterien und den Wirtszellen in der Tiefe anschauen. Wir versuchen zu verstehen, was das für Regeln sind, die das möglich machen und wir ahnen, dass viele moderne Erkrankungen möglicherweise davon mit verursacht werden, dass das Zusammenspiel von Mikroben gestört ist. Um diese Dysbiose zu verstehen, brauchen wir den Einblick von Anthropologen und modernen Historikern, die uns bei der Frage helfen, was sich eigentlich in den letzten 50 Jahren verändert hat. 
Wir glauben zusammenfassend, dass Organismen Metaorganismen sind und dass wir es heute Metaorganismen in vielen Fällen sehr schwer machen ein geordnetes Miteinander zu führen, weil wir in diese Umwelt, beispielsweise durch den steigenden Einsatz von Antibiotika, drastisch eingreifen. 

 Kommen wir zu Ihrem Arbeitsalltag: Wie viele Stunden sitzen Sie am Tag vor dem Computer und wie viele verbringen Sie im Labor? 
Im fortgeschrittenen beruflichen Alter, in dem ich mich befinde, ist meine Haupttätigkeit eine Schreibtisch- und Denktätigkeit. Ich habe wunderbare Mitarbeiter, mit denen wir im regelmäßigen Austausch stehen, uns über das Problem, was wir lösen wollen, zusammensetzen und eine Arbeitsteilung haben. Die Kollegen gehen dann an die Laborbank und machen den experimentellen Ansatz und wir besprechen die Ergebnisse. 
Mein Beitrag liegt vielleicht eher darin, das große Bild zu sehen und die einzelnen Ergebnisse in den Zusammenhang stellen zu können. Ein nicht unwesentlicher Beitrag ist die Publizierung zu schreiben, aber ebenso wichtig sehe ich es auch, der nicht wissenschaftlichen Öffentlichkeit mindestens einen Großteil unserer Ergebnisse darzustellen. Das heißt, mein persönlicher Alltag ist Nachdenken, Schreiben und Reden. 

Was ist das Härteste an Ihrem Beruf? 
Die richtige Frage zu finden, mit der man sich dann ganz tief und lange Zeit beschäftigt. Das ist überhaupt nicht trivial. Wenn man jung und begabt ist, kann man sich mit ganz vielem beschäftigen. Aber die Frage ist, was ist für einen wirklich wichtig und was interessiert mich brennend. Wie wir hier sagen, welche Frage hält mich davon ab, nachts einzuschlafen. Das kann man nicht erzwingen. Wenn man meint, dass man auf diese Frage gestoßen ist, dann muss man aber auch bereit sein, dafür alles zu geben. Das Leben eines Wissenschaftlers ist sicher kein normales Berufsleben. Wir alle können eigentlich Privat- und Berufsleben nicht wirklich voneinander trennen, weil die mich brennenden Dinge natürlichen ständig im Kopf vorhanden sind. Es ist wichtig, sich von ärgerlichen Hindernissen nicht abhalten lassen. Ich sage meinen Doktoranden immer: Wir haben in unserem Leben 361 Tage Frust im Jahr und dann haben wir eins, zwei, drei Tage in denen der Durchbruch da ist, in denen wir etwas ganz Tolles entdeckt haben. Das ist dann aber so toll, weil wir etwas entdeckt haben, was noch kein Mensch vor uns je gesehen hat. Aber man muss die 361 Tage durchhalten. 
Deswegen mein Rat an die jungen Menschen: Man muss sich das schon sehr gut überlegen, ob man diesen seltsamen Beruf eines Wissenschaftlers oder einer Wissenschaftlerin auf sich nimmt. Es gibt aber Wege, wie man natürlich erfahren kann, ob das prinzipiell etwas für mich ist indem man zum Beispiel mit ins Labor geht und Praktika macht. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, dass man weiß, auf was man sich da einlässt. 

Wenn Sie heute noch einmal studieren würden – würden Sie sich wieder für diesen „seltsamen Beruf“ Biologie entscheiden? 
Sofort! Ich habe immer Interesse an Biologie gehabt. In meinem Bücherregal steht eine Ausgabe von Charles Darwin über die Entstehung der Arten. Da ist vorne mit Kinderschrift mein Namen hineingeschrieben. Ich kann heute gar nicht nachvollziehen, warum ich mir damals unbedingt dieses Buch von meinen Eltern habe schenken lassen. Ich konnte es mit Sicherheit nicht verstehen, aber ich habe es gelesen und mir Anmerkungen gemacht. Das heißt, dass ich offensichtlich auch schon seit Schülerzeiten Interesse an großen Themen wie Evolution hatte. Dann kommt ein bunter Lebensweg, man wird ein bisschen abgelenkt, aber am Ende habe ich dann das getan, was ich jetzt noch tue und ich habe es mit keinem einzigen Tag bereut. Ich bin auch jeden Tag nicht nur optimistisch, sondern aufgeregt und begeistert über das, was ich erleben, sehen und erkennen darf. 

Wissenschaftskolleg zu Berlin

Hatte denn die Schule einen Einfluss auf Sie, haben Sie durch die Schule Ihr Interesse an der Biologie bekommen? 
Ich habe eine sehr gute Schule besucht. Es war ein Internat, eine Klosterschule, ein humanistisches Gymnasium. Wir hatten aber kaum Biologie und Englisch. Ich habe in dieser Schulzeit sehr viel gelernt, Dinge, auf die ich heute täglich zurückgreife, aber ich habe mit Sicherheit nichts an wirklicher Biologie gelernt. Nach dieser Schulzeit und während dieser entwickelte sich in einem ein Interesse für die Frage, die ich plötzlich spannend finde, die mir aber von der Schule vermutlich eher nicht in den Mund gelegt wurde. Das heißt, die Schule war für mich wichtig, weil sie mir ein breites Fundament klassischer Ausbildung gegeben hat. Ich habe dann in einem durchaus längeren Studium mir all das angeeignet, was man braucht, um Biologe zu werden. Die Message ist, die Schule soll eigentlich nicht eine vorgezogene, fokussierte berufsnahe Ausbildung bieten. Die Schule soll dem jungen Menschen das geben, was er später im Leben von alleine sicher nicht mehr kriegt, zum Beispiel ein Musikwerk zu verstehen oder ein Gedicht lesen zu können. Das finde ich viel wichtiger, als dass die Schule sich zu einer technisch berufsnahen Ausbildungsinstitution entwickelt, in der dann vermeintlich Schüler für ein Berufsleben fit gemacht werden. 

Wenn Sie auf ihre Karriere zurückblicken: Was war entscheidend für Sie, dass Sie sich diesem Forschungsgebiet, der Zoologie, zugewendet haben. Gab es dort einen Schlüsselmoment? 
Das glaube ich eher nicht. Ich war offensichtlich immer interessiert an Biologie. Ich habe aus den Händen meines Vaters, der Mediziner war, ein allgemeines Biologiebuch von Karl von Frisch in die Hände bekommen „Du und das Leben“. Ein wunderbares allgemeines Buch, in dem die Wunder der Natur von einem hochkompetenten, späteren Nobelpreisträger, in verständlicher Art und Weise dargestellt werden. Ich glaube, all diese Literatur und dieses Lesen hat mich dann in die Biologie gebracht. Ich würde mich auch nicht unbedingt als Zoologe, sondern als Biologen bezeichnen. 
Wenn man dann fragt, wie man konkret zu diesem Modellorganismus Hydra kommt, dann war das purer Zufall. Ich habe eine Weile in England studiert und als ich wieder an die Universität in München zurückkam, waren alle Kurse bereits vollgeschrieben. Da gab es nur einen neu berufenen Professor aus Amerika, Prof. Charles Davids zu dem ich dann gegangen bin. Charles Davids hat aus den USA dieses Modellsystem Hydra, den Süßwasserpolypen, mitgebracht und wir haben völlig zwanglos Experimente zusammen gemacht. Wir haben völlig überraschende Beobachtung gemacht, die wir dann publiziert haben. Seit dem bin ich bei dem Organismus geblieben. Da gehört ein ganz großes Stück Unplanbarkeit dazu und ich rate nur den jungen Menschen auch offen zu sein für diese Unplanbarkeiten und sie anzunehmen. Lass dich überraschen und wenn du meinst, dass du jetzt etwas Spannendes gefunden hast, dann bleib dabei! 

Apropos „in England studieren“: Sie hatten dort ein einjähriges Stipendium für die Universität in Wales bekommen: Was hat Ihnen dieses Stipendium persönlich und akademisch gebracht?
Ich hatte mich um ein universitätsinternes Partnerschaftsstipendium in Swansea, Wales, beworben. Wenn man offen für alles ist, ist ein Auslandsaufenthalt immer eine unglaublich wertvolle Zeit. In England habe in einem College gelebt und dort die entsprechenden Kurse, Vorlesungen und Exkursionen mitgemacht. Ich habe während dieser Zeit auch Englisch gelernt. In unserer heutigen Welt ist Verständigung sehr wichtig, da Wissenschaft nicht an nationalen Grenzen anhält. Ich weiß es noch wie heute: Kaum an dem College angekommen, habe ich mein Schulenglisch ganz schnell eingestellt. Ich dachte, ich komme überhaupt nicht mehr mit. Das war einerseits ein ziemlich furchtbares Erlebnis, aber es hat mich angespornt, mir jeden Tag eine Zeitung zu kaufen und mir einen Artikel vorzunehmen. Ich habe jedes unbekannte Wort herausgeschrieben und dann bin ich Weihnachten nach Hause gefahren zu meiner damaligen Freundin und heutigen Frau. Als ich nach Weihnachten an das College zurückkehrte, konnte ich fließend Englisch reden. Jetzt fühlte ich mich toll, da ich jetzt mit meinen Kommilitonen mitreden konnte. Es gibt erst einmal dunkle Phasen, in denen man selber nicht reden kann, aber irgendwann geht es dann los. 
Ich kam in England in ein Kursprogramm namens „marine Parasitologie“. Das englische System erlaubt es einem direkt im Labor zu arbeiten. In Deutschland haben wir diese Massenveranstaltungen. Ich war also sehr nahe an der Forschung und mit den Lehrenden zusammen und habe gemerkt, dass mich „marine Parasitologie“ überhaupt nicht interessiert. Ich habe mir geschworen, ich werde niemals im Leben Parasitologie machen. Es ist auch wichtig in so einer Zeit seine Interessen heraus zu finden. Solche Auslandsaufenthalte und solche Stipendien sind natürlich auch eine gewisse Auszeichnung und das ist wieder gut für den nächsten Schritt in der Karriere. Aber ich kann es nur wiederholen: Am Ende steht die Frage, was interessiert mich. 

Sie haben es gerade schon einmal angedeutet: In einem früheren Interview mit „Microbe“ kritisieren Sie das deutsche Studiensystem in welchem Studenten in großen Klassen sitzen und an fertig vorbereitenden Schulexperimenten arbeiten würden. Hat sich mittlerweile dort etwas verändert? 
Jein. Ich denke, die generelle Ausbildung unserer angehenden Biologen ist immer noch die Konsequenz einer Massenuniversität. Wir haben in Deutschland einfach eine unglaublich große Zahl an Studierenden zu verkraften, aber wir tun unser Möglichstes. Im Bachelorstudium ist das natürlich kaum anders zu regeln, als dass man in großen Kursräumen mit vorgegebenen Experimenten versucht, wenigstens eine Ahnung zu vermitteln. 
Persönlich, da ich das anders erlebt habe in England, ist mein Labor immer offen für junge Menschen aller Altersstufen. Das geht natürlich nicht in Massen, aber ich rege in jeder Grundvorlesung, die ich halte an, wer Interesse hat, kann sich gerne mit mir persönlich unterhalten. Dazu muss er einen Termin mit mir ausmachen und dann vereinbaren wir eine Zeit, in welcher der Student zunächst einmal ein zwei- bis vierwöchiges Laborpraktikum machen kann. Ich rekrutiere einen Großteil meiner wissenschaftlichen Mitarbeiter und Doktoranden aus Menschen, die vorher schon bei uns im Labor waren und eben schon gesehen haben, ja, das könnte ich mir vorstellen. Ich sehe keine Alternativen, da wir schlichtweg als Universität auch die Verpflichtung haben zur Ausbildung der jungen Menschen beizutragen. In einer großen Universität, wie die Universität in Kiel mit 25.000 Studierenden, fällt eine Individualisierung zunächst einmal sehr schwer. 
Es liegt aber immer auch am Einzelnen. Wenn der einzelne junge Mensch einem Dozenten sein Interesse signalisieren will, dann muss er zu dem Dozenten hingehen und ihm das sagen! Die jungen Menschen müssen auch selber den Kontakt suchen. Das ist schwer. Das weiß ich schon. Aber das ist auch ein Teil des Erfolgsprinzips einer wissenschaftlichen Karriere. Man muss kommunizieren und ein Großteil der Dozenten, die den jungen Studenten dann sehen, sind vollkommen offen und finden das toll, wenn ein junger Mensch kommt und sagt „Mensch ich finde das spannend, können Sie mal Näheres dazu sagen?“. Sie werden dann Möglichkeiten geben, diesen Massenbetrieben ein bisschen auszuweichen und ihn sozusagen zu ergänzen. 
Ich habe gerade einen jungen Menschen bei mir im Labor, der auf dem Weg zu seiner Masterarbeit ist. Den habe ich jetzt für drei Monate nach Amerika geschickt, zu einer Kollegin nach Oregon. Er läuft dort einfach mit und lernt ein anderes System kennen. Er wird zurückkehren, seine Masterarbeit bei uns machen und dann hoffentlich eine erfolgreiche wissenschaftliche Karriere beginnen. 

Was, glauben Sie, war Ihr größter wissenschaftlicher Erfolg? 
Ich denke zunächst an meine Arbeit als junger Mensch mit meinem tollen Doktorvater. Sie hat zunächst einmal gezeigt, dass ganz einfache Organismen Stammzellen haben. Mit einer neuen Technologie kam dann viele Jahre später die Erkenntnis, dass diese Stammzellen und das Gewebe in dem sie leben noch mit vielen anderen Organismen zusammen erst die funktionelle Einheit bilden. Wir haben gezeigt, dass diese Mikroben tatsächlich wichtig sind. 
Zwei weitere Beobachtungen sind vielleicht noch wichtiger. Nach der Entdeckung von Organismen als Metaorganismen kam plötzlich die Frage, was eigentlich die Funktion des Immunsystems ist. Die Kurzfassung ist, dass das Immunsystem sich in der Evolutionsgeschichte nicht herausgebildet hat um Krankheitskeime abzuwehren sondern um diesen Metaorganismus überhaupt möglich zu machen. Es gibt viel zu wenig wirkliche Krankheitskeime auf der Erde gegenüber den Billionen von guten Mikroben. Später merkten wir, dass unsere Nervenzellen und Bakterien miteinander kommunizieren. In der modernen Wissenschaft heißt dieses „Darm-Gehirn-Mikrobiomachse“. Wir glauben heute und ich bin mir 100 % sicher, dass während der Evolutionsgeschichte das Nervensystem entstanden ist und zwei Funktionen hat: Einmal der sensorische Input und motorischer Output, aber auch die Kommunikation mit den Mikroben. 

Wo wir gerade schon bei Erfolgen waren – was war Ihr größter Misserfolg? 
Ich formuliere es einmal andersrum: Misserfolg in dem Sinne würde ich erst mal nicht sehen, aber es gab durchaus lange Strecken, in denen Dinge nicht geklappt haben. Zum Beispiel hat es endlos lang gedauert, bis wir in der Lage waren, Hydrazellen genetisch zu manipulieren. Wenn Sie dann einen kurzen Zeitabschnitt anschauen, dann können Sie sagen, das waren Misserfolge. Wir haben ganz viel probiert. Ich hatte ein Stipendium der Alexander von Humboldt Stiftung und habe mit diesem meine Postdoc-Zeit in Kalifornien verbracht. Das Ziel war es, Stammzellen von Hydra genetisch zu manipulieren aber es hat nichts funktioniert. Das ist eine Herausforderung für einen jungen Menschen, der ein Stipendium hat, und glaubt, dass er vielleicht in diesem Feld Karriere machen kann. In so einem Fall muss man sich zu mindestens Überlebensstrategien überlegen und ich habe mich dann nebenher noch mit anderen Themen beschäftigt. Die konnten wir auch sehr gut publizieren, aber das Hauptziel hatte ich nicht erreicht. 
Es hat noch eine ganze Weile gedauert, aber ich habe das Ziel nie aus den Augen gelassen. Es hat sich erst etwas daran geändert, als ich dann nach Kiel gezogen bin und dort einen wunderbaren Mitarbeiter getroffen habe, Jörg Wittlieb. Mit Jörg haben wir uns hingesetzt und haben gesagt, wir haben jetzt alles probiert und außer uns hat es auch niemand bisher geschafft. Wie können wir diese Zellen genetisch manipulieren, das heißt transgen machen? Dann haben wir das einzige probiert, was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht getan hatten: Wir haben Embryonen mikroinjiziert und plötzlich ging es! Das ist toll, da ist man glücklich und die Mitarbeiter sind glücklich, aber ich verdeutliche noch einmal, dass das ungefähr zehn Jahre der Frustration waren. Das Ziel darf man dann aber nicht aus den Augen lassen. Das Ziel ist am Ende nicht, dass ich unbedingt diese Zellen transformieren will, sondern ich will die fundamentale Frage am Ende beantworten, wie regeln die Zellen ihr Miteinander und das mit ihrer Umwelt. 
Ich bin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und auch meinen Gutachterinnen und Gutachter der damaligen Zeit unglaublich dankbar. Ich war ein junger, unbekannter Mensch und ich habe immer ein bisschen Geld gekriegt für diese Forschung, obwohl ich nach drei Jahren immer schreiben musste, es hat nicht funktioniert. Der große Durchbruch, der ging lange Zeit nicht. Aber ich wurde nie aus dem System hinaus katapultiert und ich nehme das heute für mich selber als Richtschnur als Mitglied von vielen Begutachtungskommissionen. Wenn man mir damals die Möglichkeit genommen hätte, und gesagt hätte das wird nichts, dann wäre es das gewesen. Ja, das war kein Misserfolg, aber es war ein lange ausstehender Erfolg. Es war aber auch eine wichtige und interessante Zeit. 

Was war denn der beste Rat, den Sie je bekommen haben? 
Mach das, was du willst. Ich war in dieser schwierigen Zeit nach dem Abitur. Ich musste damals zum Militär und war dann, wie immer als junger Mensch, mit 18 Jahren durchaus in einer flexiblen Phase und anfällig für alles mögliche, was einen interessiert. Ich hatte dann tatsächliche Zweifel an dem, was ich zu dem damaligen Zeitpunkt getan habe und dann habe ich ein Gespräch geführt im weiteren Familienkreis. Dieser tolle Mensch hat mir damals gesagt: „Tu das, was du tun willst, höre sonst auf gar nichts“. Das habe ich getan und das war der beste Rat, den ich je bekommen habe. 

Lieber Herr Prof. Bosch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.  
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